„Definitive Abschiedliga“ II

Das Sterben um einen herum nimmt spürbar zu. Politiker, Prominenz, Künstler, Schriftsteller, Musiker, Schauspieler, es trifft Leute, die kaum älter wurden als man selbst gerade ist. Dass es meteoritenartig mal den einen oder anderen aus dem privaten oder dem öffentlichen Umfeld trifft, das ist normal. Irritierend ist die Häufung, die spürbare Häufung. Das bloße Wissen um die eigene Sterblichkeit wird auf eine neue Qualitätsstufe gehoben. Es rückt das Bewusstsein näher heran an den Punkt X, den Unweigerlichen. Und plötzlich gibt es einen Rest. Und der Rest ist wirklich ein Rest. Selbst, wenn man von Krankheiten verschont bleibt, irgendwann wird dieser Rest zur Neige gegangen sein. Die Nerven beginnen manchmal zu zittern. Das ist, weil man in eine Art Übergangszeit eingetaucht ist, über Nacht, in die Endphase, in der es dann gar nichts mehr zu zweifeln gibt. Dann wird man akzeptiert haben. Man bereitet sich auf den Abschied vor, und das lässt die Nerven zittern wie gespannte Saiten… Die Altersgesichter, in die sich die Freunde verwandeln sind untrügliche Anzeichen. Spuren in den Gesichtern, Wege des Lebens, Rillen, Kratzer, nicht im Spiegel sieht man sich plötzlich alt geworden, sondern es dauert immer länger, bis man sich selbst auf Jugendfotos wieder erkennt, wieder findet. Das soll ich gewesen sein? Wie habe ich mich damals gefühlt, wer war ich damals? Ja, wer war ich als ich das gewesen bin. Was ist die Essenz meines Wesens? Was ist das Wesentliche? Dem Wortkern entstammt gleichermaßen verwesen, wenn das Wesen verschwindet oder wenn das Wesentliche verschwindet.

Tag Zwei nach Paris – 13.11.2015 (Freitag, der)

Ulm Hauptbahnhof, 12:47h

Hauchdünnes Eis.

Ich sehe keine Trauer
Tränen feuchte Augen
meine ich, mein Ich
untergetaucht, verloren in der Masse
der Schlendernden.

Die Frage, was soll man
machen – so ohne Ziel
Gestalten, Figuren, Wesen –
Menschen
schlürfen, torkeln, schreiten,
zögern, verweilen
kaum einer der hetzt, seltsam genug

Essen ist ja da
für alles ist gesorgt – an diesem Sonntag

was bleibt
die Frage, die bleibt
wer kann das?
wer kann sowas?
verroht – der Ausdruck fiel einmal in diesen Nachrichten
welcher Verlust geht solcher
Verrohung voraus!

Die Einsamkeit, die jedes Lebewesen definiert –
unüberwindlich, in solchen Momenten evident.
Der Schutz – die Schicht

hauchdünnes Eis.